Die Predigt der Osternacht hielt Stadtsuperintendent Bernhard Seiger in der Trinitatiskirche. Er bezog sich auf Kolosser 3,1–4 und betonte: Ostern ist mehr als Erinnerung – es ist eine verborgene, aber kraftvolle Gegenwart. Es ist der Beginn eines neuen Lebens, das schon da ist, auch wenn wir es oft noch nicht sehen.
Hier können Sie die Osterpredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger lesen:
Liebe österliche Gemeinde,
in dieser besonderen Nacht sind wir unterwegs mit unseren Gedanken und Gefühlen. Wir stehen zwischen der Erfahrung eines Todes, des Todes Jesu, der Beklemmung von Karfreitag und dem Neuen, was wir erhoffen.
Vielleicht ist das in dieser Nacht so wie mit dem Tod eines Menschen, der uns nahestand. Wenn man diesen Menschen bis zum Ende begleitet hat, dann sind unsere Sinne hellwach. Wie das war mit dem Sterben, bleibt uns vor Augen. Es ist da auch ein Gefühl der Erleichterung: Es ist ein Weg geschafft! Und ein bisschen ist es am Ende der Karwoche ja auch so.
Es ist für uns diese Woche nicht überraschend, dass Jesus gestorben ist. Wir kennen die Geschichte. Wir haben sie schon oft gehört. Wir gehen innerlich noch einmal in die Tiefe mit, wenn wir uns einlassen. So kann ich nicht Ostern feiern, wenn ich nicht auch den Schmerz gefühlt habe.
Aber ich weiß: Die Geschichte geht weiter. Da wird ein Fenster aufgemacht, es wird hell! Die Kerzen und die Musik der Nacht, in dieser Nacht neben den Osterliedern ein Abschnitt von Händels „Messias“ geben uns ein Versprechen: Dein Leben geht weiter, es fängt etwas Neues an. Aber das kennst du noch nicht.
Dass wir einmal sterben werden, wissen wir. Aber wie das Leben von jetzt an bis dahin weitergeht, das ist offen. Und deshalb ist Ostern spannend, weil es die Frage stellt:
Wie gehst du nach vorne, wie fängt neues Leben an? Auch für dich, für mich ein neuer Lebensabschnitt in diesem Frühjahr, an diesem Osterfest?
Es geht um das, was in uns neu werden kann, und darum, ob wir noch staunen und uns überraschen lassen können vom Leben oder von dem, was ein Größerer darin tun wird.
Als Predigttext für diese Nacht hören wir Worte des Staunens und davon, dass wir nach oben sehen können. Kolosserbrief Kap. 3, Verse 1–4:
„Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so sucht,
was droben ist, wo Christus ist,
sitzend zur Rechten Gottes.
Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.
Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.
Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird,
dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm
in Herrlichkeit.“
In diesem Wort für die Nacht geht es um österliches Leben. Um ein Leben, das noch fähig ist zum Staunen. Und zur Veränderung. Damit sind wir Ostermenschen gemeint.
Können wir Neues über uns zulassen? Vielleicht passt das Leben, das man bisher führte, nicht länger zu einem. Sodass es dran ist, etwas neu zu machen, anders jedenfalls. Wie ist es für Menschen mitten im Leben? Mit den Träumen, die wir hatten? Mit denen, die wir umsetzen konnten, mit denen, die offen blieben? Wie ist das mit den Enttäuschungen und den großen Hoffnungen? Weitermachen oder nochmals einen Aufbruch wagen?
Sind wir Menschen, die innerlich noch mal aufbrechen können? Menschen, die neugierig auf das sind, was kommt? So wie die, die am Grab eines Menschen gestanden haben und nun anfangen, neue Räume zu sehen. So wie die, die als Jünger um Jesus trauern, ihn aber in neuer Weise sehen und deshalb noch mal neu denken können. Gefühle haben sich gedreht.
Menschen also, die sich durch die Auferstehung Jesu bestimmen lassen.
In den vier Zeilen des Kolosserbriefes wird gesagt: „Ihr seid mit Christus auferstanden.“ Punkt. Das ist keine Rückschau, keine Sentimentalität, sondern das ist eine Feststellung. Um österlich zu leben, müssen wir uns nicht so oder anders als Christen verhalten. Es geht nicht zuerst um Ethik.
An Ostern werde ich daran erinnert, was ich schon bin. Einer, der mit Christus auferstanden ist, eine, einer, der oder dem ein neues Leben geschenkt wurde. Lassen wir uns das diese Nacht gesagt sein.
Vielleicht sind wir eher müde und fragen: Wo ist denn das neue Leben in meinen alten Knochen? Ich merke davon gar nichts. – Das neue Leben ist noch verborgen. Wie viel von unserem Leben und unserer Zukunft ist verborgen!
Wie viel, das in uns steckt, ist noch nicht sichtbar! So wie eine Blumenzwiebel in der Erde verborgen ist und doch schon vorhanden ist. So wie in einer Raupe ein Schmetterling verborgen ist. Schon da, aber eben noch nicht sichtbar. Aber da kommt buntes Leben!
Auferstehung und neues Leben werden uns jedenfalls nicht nur nach unserem Tod geschenkt. Auferstehung und neues Leben sind jetzt schon eine Kraft, die unser Leben bestimmen. „Ihr seid mit Christus auferweckt, auferstanden.“ Hier wird in der Gegenwartsform gesprochen. Noch verborgen und doch schon bestimmend für unser Leben.
Noch verborgen, es gibt allerdings Zeichen, an denen die neue Wirklichkeit deutlich wird.
Sie ist sichtbar zum Beispiel in der Sehnsucht nach Lebendigkeit, nach neuen Gefühlen, nach Frühling! Sie ist sichtbar in unserer Fähigkeit zu staunen. Können wir das, staunen?
Man kann sagen: Die kindliche Art, sich ergreifen und berühren zu lassen, zum Beispiel darüber, dass ein Ball rollt, verlieren viele im Laufe der Jahre. Es wird so vieles zur Gewohnheit.
Aber stimmt das denn? Kann es nicht auch ein erwachsendes Staunen geben? Alle Wahrheitssuche bei Sokrates und Platon fängt doch mit der Fähigkeit zu staunen an! René Descartes beschreibt das Staunen als erste aller Leidenschaften, weil sie diejenige Leidenschaft ist, mit der der Mensch zuerst auf etwas Neues reagiert. Sind wir zu dieser Leidenschaft nicht alle in der Lage? Der Mensch, der Suchende bleibt bei etwas Unerklärlichem hängen: Warum verliebe ich mich, warum verhaken sich Leute, warum geht die Sonne auf?
Was sagt uns der Mond, der nur halb zu sehen ist?
Was sagt er uns damit, dass wir erkennen müssen, dass wir immer nur die eine Seite der Wirklichkeit sehen? Was ist denn auf der anderen? Vielleicht ist diese Seite auch schön?
Und schon sind wir im Nachdenken, fangen an zu studieren und unser Leben und das des anderen zu ergründen. Wie kommt es, dass ich an einem Menschen neue Seiten entdecke? Dass mein Empfinden und meine Sichtweise sich mit den Jahren ändert?
Und schon bin ich als Mensch in der Mitte des Lebens dabei zu staunen. Und ich finde neue Zugänge zum Leben. Wer dagegen keine Neugier mehr hat, bleibt stehen. Doch einfach stehen bleiben dürfen wir als Erwachsene nicht, und als österliche Menschen schon gar nicht!
Manches vom Neuen ist noch verborgen, es gibt allerdings ein Zeichen, an dem die neue Wirklichkeit deutlich wird. Es ist unsere Taufe. Denn in unserer Taufe gewinnen wir Anteil am Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Unser bisheriges Leben liegt hinter uns und neues Leben wird uns geschenkt.
Ein Punkt des Neuanfangs, den wir uns nicht oft genug neu bewusst machen können: Staunen und nach oben sehen, was da neu werden kann.
Mit meiner Taufe bin ich nicht mehr nur Bernhard Seiger, der Sohn von Marlies und Armin, die seinerzeit geschieden wurden und zum Teil schmerzhaft eigene Wege gingen. Ich bin nicht nur 61 Jahre alt, mit den und den Stärken und den und den Schwächen. Ich bin nicht nur der, für den ich mich halte und auch nicht mehr der, für den andere mich halten.
Ich bin ein neuer Mensch, ein österlicher Mensch, ein geliebtes Kind Gottes. Und so ein Mensch, der neu anfangen kann, in aller Freiheit.
Und auch dort vorne, NN., ist mehr, als sie selbst von sich hält und sieht und mehr als die anderen Menschen von ihr halten. Denn in der Taufe sind wir mit Christus verbunden.
Das Grunddatum meines neuen Lebens ist meine Taufe – auch wenn ich sie nicht bewusst erlebt habe. Denn die Taufe ist nicht nur die Aufnahme eines neuen Mitgliedes in die Gemeinde. Durch die Taufe werde ich mit dem göttlichen Leben verbunden, das ich nicht überblicke und über das ich nur staunen kann. Deshalb hat Martin Luther in den Anfechtungen, denen er in seinem Leben ausgesetzt war, immer wieder betont: „Ich bin getauft“ – „baptizatus sum“. Daraus hat er Kraft gewonnen und Zuversicht in Zeiten der Anfechtung.
Unser österlicher Glaube ist durch die Taufe schon da, aber noch nicht sichtbar. Es gehört zur verborgenen Wirklichkeit des Glaubens. Es wird erst am Ende der Zeiten sichtbar werden. Manches in unserem Leben, auch manche Widerfahrnisse und Entscheidungen werden wir erst im Licht des Ewigen und im Rückblick verstehen können.
Bis dahin wissen wir, dass wir mehr sind, als wir scheinen, und wir wissen, dass auch die anderen mehr sind, als sie uns erscheinen. Es ist ein österliches Wissen, das noch nicht sichtbar ist.
Dieses österliche Wissen hat Folgen. Wir werden aufgefordert, zu suchen und zu trachten. Nicht hier auf der Erde sollen wir suchen, denn da finden wir bestenfalls Ostereier und auch manches Glück, sondern „droben“ ist zu suchen. „Suchet und trachtet nach dem, was droben ist.“
Droben ist nicht ein weiterer Schritt auf einer vermeintlichen Karriereleiter, was immer das sein soll. Was nützen uns am Ende die kleinen Nüsschen unseres Erfolgs?
Wir wissen natürlich längst, dass im Kolosserbrief mit „droben“ etwas anderes gemeint ist. Droben ist der „Himmel“. Es geht nicht um ein Trachten nach irdischem Droben, sondern um ein „himmlisches Droben“. Es geht darum, was wir an Liebe empfangen und an Liebe schenken.
Österliches Leben heißt also dem zu folgen, der nach unten gegangen ist, damit für uns ein neues Leben beginnen kann.
Und so können wir nach oben sehen und staunen, was sich dann alles verändert.
Leben wir als Kinder des Lichtes, denn mit dem Osterfest sind wir Kinder des Lichts! Amen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht als unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne.
Text: APK
Foto(s): Archiv
Der Beitrag „Da wird ein Fenster aufgemacht, es wird hell.“ – Osterpredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.