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Mehr Wissen, weniger Pathos! – „Kluges Widerstehen“ im Geiste Dietrich Bonhoeffers

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„Wer nicht über Religion nachdenkt, glaubt alles.“

Graffiti an der Universität in Amsterdam

„Jeder Satz der Theologie ist ein politisch wirkender Satz – oder er ist überflüssig.“

Karl Barth

Mit diesen beiden auf die Schnittstelle von Theologie und Politik abzielenden Zitaten begrüßte Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, in der Kartäuserkirche die Besucher*innen des Podiumsgesprächs „Streit um Bonhoeffer. Versuche rechter Vereinnahmung“ – zum 80. Todestag des Theologen und Widerstandskämpfers. Die Veranstaltung war eine Kooperation der Evangelischen Gemeinde Köln, der Melanchthon-Akademie und der Evangelischen Akademie im Rheinland.

Martin Bock verortete den Jahrestag inmitten eines medialen Streites um die Deutungshoheit über Bonhoeffers geistiges Vermächtnis und betonte die Gefahr für die Meinungsfreiheit, die von einer solchen Vereinnahmung ausgehe.

Impulse der Podiumsgäste

Zunächst hielten die drei Gäste jeweils einen 10-minütigen Impulsvortrag.

Die Theologin Philine Lewek hielt den ersten der drei Impulsvorträge.

Philine Lewek, Theologin, verwies auf einen Prozess der Heroisierung Bonhoeffers und zitierte Todd Komarnicki, Regisseur des aktuellen Bonhoeffer-Films, der Bonhoeffer als „the greatest hero of all times“ bezeichnet. Ihr Großvater war Mitglied der Bekennenden Kirche, durch dessen Zeitzeugenberichte sie ein differenzierteres Bild erhalten habe. Lewek beobachtet eine zunehmende Vereinnahmung Bonhoeffers durch neurechte christliche Theologie – etwa durch Beatrix von Storch, die das Gleichnis vom barmherzigen Samariter migrationspolitisch umdeutete. Auch am Beispiel der Bonhoeffer-Biografie von Eric Metaxas verdeutlichte sie, dass Deutungskonflikte stets mit Machtansprüchen verbunden seien.

Arnd Henze, Journalist, kritisierte das Widerstandspathos, insbesondere in den USA, das Bonhoeffer mit Adolf Hitler gleichsetzenden Aussagen in Verbindung bringt. So seien nach dem Sturm auf das Kapitol die Inhaftierten als „Bidens persönliche Gefangene“ bezeichnet worden. Auch sei der Begriff „Assassin“ im Filmtitel problematisch, da er reaktionäre Assoziationen wecke. Der Film sei letztlich in den amerikanischen Kinos gefloppt. Henze setzte dem Pathos ein anderes Bild entgegen: eine alte Dame mit Transparent gegen Donald Trump. Widerstand, so Henze, müsse zuerst bedeuten, die Politik an ihre Aufgaben zu erinnern – bevor man „dem Rad in die Speichen greift“.

Pfarrer Mathias Bonhoeffer, Großneffe von Dietrich Bonhoeffer, erklärte, es gebe in der Familie ein „sehr klares und gemeinsames Bild“ seines prominenten Vorfahren, den er als „lebensfroh und durchaus woke“ beschrieb. Der Weg in den Widerstand sei „nicht geplant und nicht gewollt“ gewesen. Er zog Parallelen zwischen Trumps „Project 2025“ und Hitlers Mein Kampf – beide Texte seien Ankündigungen zukünftigen Handelns.

Das Podiumsgespräch

In der moderierten Diskussion (Frank Vogelsang, Evangelische Akademie im Rheinland, und Dorothee Schaper, Melanchthon-Akademie) vertieften die drei Gäste ihre Perspektiven.

Philine Lewek stellte die Frage:
„Wie sieht es in unserer Kirche aus?“ – und bekannte offen: „Widerstand ist gar nicht so mein Wortlaut.“

Mathias Bonhoeffer forderte: „Das Erste ist, dass wir uns informieren!“ Er warnte vor einer „TikTok only“-Strategie und plädierte für vielfältige Informationsquellen. „Das Wichtige ist, dass man sich dafür Zeit nimmt.“

Frank Vogelsang identifizierte das „geheime Thema“ des Abends als den Spannungsbogen zwischen Eindeutigkeit und Vielfalt. Christen seien berufen, sich Eindeutigkeiten zu entziehen.

Lewek rief zu einem faktenbasierten Gegennarrativ auf.
Arnd Henze unterstrich: „Ich habe gar nichts gegen Pathos – sondern nur gegen Widerstandspathos.“ Er verwies auf die problematische Bezugnahme auf die „Weiße Rose“ in Corona-Protesten.

Mathias Bonhoeffer berichtete von täglich drei Anfragen zum Thema Kirchenasyl. Er kritisierte: „Die Migrationsdebatte ist der Hammer der AfD – dann wird jedes Problem zum Nagel.“
Dorothee Schaper verwies auf das neue Zentrum Kirchenasyl in Köln-Bilderstöckchen, das bis zu zehn Menschen Schutz bietet: kurzlinks.de/zukunft-spenden

Widerstand, Toleranz & Kirche als Raum für Diskurs

Einige zentrale Gedanken aus dem Publikum und der Abschlussrunde:

  • „Was wie Scheitern aussieht, kann zum Sieg werden!“ – Mathias Bonhoeffer über die Passion Jesu
  • „Ist die Kirche zu leise?“
  • „Wie geht man mit Abstumpfung und Gleichgültigkeit um?“

Philine Lewek: „Wir müssen die im Blick behalten, die der Hass trifft.“
Arnd Henze: Plädoyer für „kluges Widerstehen“ und die Suche nach Wirksamkeitserfahrungen
Martin Bock: „Wie können Gemeinden Biotope der Vielfalt werden?“

Auf die Frage nach rechtem Framing in Ostdeutschland verwies Lewek auf eine „Widerständigkeit der Basisgemeinden gegenüber allem, was von oben kommt“ und betonte die Notwendigkeit von Vernetzung.

Ein Zuschauer verglich die beiden Bonhoeffer-Filme „Die letzte Stufe“ (2000) und das neue Biopic. Mathias Bonhoeffer urteilte: Der ältere Film sei besser – aber auch nicht ohne Schwächen.

Letzte Impulse

Pfarrer Mathias Bonhoeffer hatte sich mit weiteren Familienangehörigen in einem offenen
Brief gegen die ideologische Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers gewandt

Zum Schluss kamen Fragen zur Diskussionskultur in der Kirche:

  • „Wo entsteht Klarheit?“
  • „Wie vermittelt man pluralistische Information?“
  • „Sollte Kirche nicht der Ort sein, wo man miteinander redet?“

Arnd Henze:
„Wir brauchen Räume, um mit Komplexität fertig zu werden.“
Er schlug ein „Friedenskonzil“ vor und betonte die Rolle der Kommunikation mit der jungen Generation. Ziel müsse sein: „Weitblick und Dringlichkeit.“

Mathias Bonhoeffer konterte:
„Es gibt Situationen, da ist ausmoderiert.“ Es gebe Grenzen der Toleranz – aber: „Wir machen keinen Gesinnungstest.“

Die Diskussion wurde bei einem Getränk weitergeführt.
Die Kollekte des Abends kam dem Zentrum Kirchenasyl Köln zugute.

Text: Priska Mielke
Foto(s): Priska Mielke

Der Beitrag Mehr Wissen, weniger Pathos! – „Kluges Widerstehen“ im Geiste Dietrich Bonhoeffers erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.